Soweto Derby

Soweto Derby: Kaizer Chief vs. Orlando Pirates

Es hätte knapper kaum sein können, es zum Spiel des Jahres zu schaffen, zumindest in Südafrikas größter Stadt Johannesburg und seiner Umgebung. Dabei sah alles zunächst gar nicht nach Stress aus, denn zwischen Landung und Anpfiff lagen noch ausreichende vier Stunden Zeit. Aber der Reihe nach: raus aus dem Flieger, Gepäck am Flughafen zwischengelagert, mit dem Uber Richtung FNB Stadium aufgebrochen. Soweit, so gut und noch immer großzügige zeitliche Marge drin.

Am Monatsanfang in die Mall

Dann allerdings die erste Hürde: die Tickets waren zwar am heimischen Rechner vorbestellt worden, bezahlt und abgeholt werden wollten sie jedoch vor Ort. Wobei wider Erwarten nicht das Stadion dafür als Anlaufpunkt diente, sondern günstigerweise eine ganze Reihe von lokalen Lotto-Läden oder Supermärkten in Frage kamen. Um es vorwegzunehmen, wir ergatterten unsere Karten in einem Möbelgeschäft. Es jedoch soweit zu schaffen, bedurfte einiger Geduld sowie der Ortskenntnis unserer freundlichen Fahrerin. Es war nämlich voll an allen genannten Läden und zwar so richtig. Bemüht unserer beginnenden Verwunderung mit Aufklärung zu begegnen, erwähnte unsere Fahrerin, dass es ja Sonnabend sei. Allerdings handelte es sich um das erste Wochenende des Monats. Das hieß im Klartext, Geld vom Konto holen und zurück in den Wirtschaftskreislauf bringen. Für bedeutete dies lange Schlangen vor den besagten Geschäften. Nach Rückfragen bei weiteren Wartenden wurde uns schnell klar, dass wir nicht innerhalb absehbarer Zeit an die Tickets kommen würden.

Also weiter ging’s. Nächste Ausfahrt raus und rein in eine große Mall. Laut Info sollten es dort mehrere Möglichkeiten des Ticketerwerbs geben, und dort versprachen wir uns weniger hohen Andrang. Anfangs wurden wir auch dort mit Menschenmassen vor den Countern konfrontiert. Dann jedoch die Idee, es mal im Möbelgeschäft zu versuchen. Nach gut 30 Minuten war alles erledigt und wir hatten endlich die benötigten Tickets in der Hand. Jetzt aber nix wie raus aus der Mall und auf unserer Kutsche aufgesessen. Dank unserer umsichtigen Fahrerin ersparten wir uns erneutes Anstehen am Parkscheinautomen, dessen Schlange sich mittlerweile bis auf Spielfeldlänge ausgebaut haben dürfte. Sie hatte inzwischen den Parkplatz der Mall mehrfach innerhalb der Gratis-15 min Frist verlassen und anschließend wieder befahren. So war ein rasches Abfließen unsererseits aus dem Gedränge möglich.

Anreise zum Soweto Derby

Zähe Anreise zum Soweto Derby im Auto

Parkordnung muss sein

Parkplatz beim Soweto Derby

Mit Verzögerungen ist zu rechnen

Wieder mit allen Mitstreitern an Bord, trug der fällige Uhrenvergleich zur zunehmend begründeten Sorge, es nicht pünktlich zum Anpfiff zu schaffen, entscheidend bei. Immerhin hatte uns die Kartenakquise gute anderthalb Stunden genommen. Unserem Bemühen, alsbald unsere Plätze in Block 221 des früheren WM-Finalstadions einnehmen zu können, standen jetzt noch die zahlreichen anderen Verkehrsteilnehmer mit gleichem Fahrtziel im Wege. Es war voll, wurde voller, aus zwei Spuren wurden fünf bis die Polizei wieder auf zwei Spuren zurück ordnete. Lediglich schleppende Vorwärtsbewegung war zu verzeichnen. Unsere Anspannung lockerte sich etwas beim Anblick der zahlreichen Minivans, die mit offenen Seitentüren mit lautstarker Musik neben uns fuhren, vollbesetzt mit freudig wippenden, singenden und trinkenden Fans beider am heutigen Derby teilnehmender Teams. Ungewohnt hierbei für unsere europäischen Fussballfanaugen: die Taktik der Polizei. Diese kümmerte sich, wie erwähnt, zwar zuverlässig um die Absicherung der Anfahrtswege, jedoch mit dem scheinbar erklärten Ziel, diese zu einem einzigen zu kanalisieren, für alle Zuschauer. Fantrennung? Wozu? Hier wird die Begegnung zweier Lokalrivalen zum gemeinschaftlich begangenen Event für alle! Neue Perspektive für uns angesichts mancher Derbys in heimatlichen oder auch südamerikanischen Gefilden.

Schließlich näherten wir uns mit der tosenden Blechlawine dem Stadion. Um das Auto jetzt geeignet abzustellen, manövrierte unsere Dame am Steuer ihr Fahrzeug gekonnt von der Straße auf angrenzende Feld und wir konnten rasch absitzen. Den letzten halben Kilometer legten wir zu Fuß zurück, vorbei an wild abgestellten Autos und Kleinbussen, Ständen mit Gegrilltem und Frittiertem, kleinen Teppichen mit üblichen Faninsignien und überhaupt vielen aufgeregten Menschen. Aufgrund des steigenden Lärmpegels und dem inzwischen angepfiffenen Match wurde vorab auf Kulinarisches verzichtet und eiligst zum Eingang gespurtet.

 

Ehemalige WM Arena: FNB Stadium

Ehemalige WM Arena: FNB Stadium

Soweto-Hexenkessel in der WM-Arena

Erste Sicherheitskontrolle – eher lax und desinteressiert als derbyverdächtig. Zweite Kontrolle, und ab durch die Drehkreuze – check. Jetzt nur noch an den Stewards vorbei, die mit einem Bauzaun den Zugang in das Innere des Stadions und den einzelnen Blocks versuchten zu regeln. Die durchaus einnehmende akustische Kulisse, deren Ursprung wir nun schon ganz nah waren, explodierte plötzlich! Da war es! Ein Treffer war gefallen und der Lautstärke nach zu urteilen mutmaßlich für die Heimmannschaft. Aufbrausender Jubel, freudig erregte bis nervöse Gesichter und hektische Bewegung um uns herum. Einige männliche Besucher, denen die Dauer des Einlassverfahrens per Drehkreuz ohnehin inakzeptabel erschien, schafften es, mehrere Tore von innen zu öffnen, um auch der breiten Masse an Wartenden und Nichtticketbesitzern die Möglichkeit des Stadionbesuches abseits des Drehkreuzes zu ermöglichen. Sogleich setzten die Fans zum Sturm auf die verunsicherten Stewards und ihren Bauzaun an. Teile unserer Gruppe, die sich bereits jenseits des Zauns befanden, konnten sich an eine Wand retten, um nicht der berauschten Fanwalze zu erliegen.

Fandevotionalien beim Soweto Derby

Fandevotionalien beim Soweto Derby

FNB Stadium

FNB Stadium beim Soweto Derby

Als wir endlich den Innenraum betraten, suchten unsere aufgeregten Augen auf der riesigen Anzeigetafel nach Gewissheit. In der Tat, es führten die Kaizer Chiefs 1:0. Freude auf Seiten der Chiefs-Anhänger, gedrückte Stimmung bei uns, verbunden mit der Hoffnung auf einen weiterhin spannenden Verlauf auf dem Platz wie auf den Rängen. Es folgte der Moment der Orientierung, wo sich welche Fangruppen wie aufhalten. Den Farben der Vereine nach zu urteilen, sollte die Identifikation des jeweiligen Anhangs nicht so schwer sein – gelb-schwarz auf der einen, rot-weiß-schwarz auf der anderen Seite. Auf den ersten Blick keine eindeutige Zuordnung möglich. Dann, Prüfung, welche Farbe denn im eigenen Block die vorherrschende war. Ergebnis: weder das das eine noch das andere dominierte. Gut, vielleicht muss man erst mal ein paar Minuten ins Land gehen lassen.

Vuvuzelas reloaded

Auf dem Grün zeigte sich ein flotter Kick mit viel hin und her und durchaus zahlreichenden Strafraumszenen beider Teams, allerdings ohne zwingenden Charakter. Jedoch sorgte das Anlaufen der Kontrahenten auf das gegenüberliegende Tor für steten ekstatischen Jubel im Rund. Und es half dabei festzustellen, dass sich die Unterstützer beider Mannschaften stark untereinander vermischt hatten. Während dem einen bei der Attacke der gegnerischen Elf die Sorgenfalten anschwollen, hielt es seinen Nachbarn vor lauter Vorfreude nicht mehr auf seinem Sitz. War die Szene vorbei wandten sich beide einander zu, um die Situation nachzubesprechen. Enorm, wie sich die emotionale Anspannung beider im Nu löste und man gleich freundschaftlich weiter dem Spiel folgte. So ist das also. Die Clubrivalität scheint sich nicht auf die Fans auf die gleiche Weise zu übertragen, wie wir es aus Europa kennen. Fankultur lebt man hier entschieden anders aus, auch mit anderen Utensilien. Zuerst natürlich mit den, während der WM 2010 zu zweifelhaftem Ruf gelangten Vuvuzelas. Diese brachten auch bei dieser Begegnung eine ungewöhnliche, jedoch satte Untermalung.

Das Spiel nahm seinen Lauf, aber weiterhin ohne entscheidende Szenen und größere spielerische oder taktische Finessen. Insofern etwas Zeit, den Wurststand samt Getränkeausschank in Augenschein zu nehmen. Bratwurst im Brötchen bzw. sein lokales Pendant ist man gewöhnt und schien eine angemessene Wahl zu sein. Auf alkoholfreies Bier wurde zugunsten von Wasser und Eis verzichtet. Sämtliche erwähnten Speisen bedürfen allerdings in der Folge keiner weiteren Erwähnung, vielleicht mit Ausnahme des pikanten Beef Biltong, das von den auf den Rängen herum flitzenden Verkäufern feilgebotenen wurde. Dann eine unübersichtliche Szene vor dem gegenüberliegenden Gehäuse, auf welches die Pirates spielten. Den Kaizer Chiefs gelang nicht die Klärung der Situation und ein Schuss auf ihr Tor war die logische Konsequenz. Die Abwehr jenes Versuchs der Pirates sollte den Torhüter, so unsere Annahme, nicht vor größere Probleme stellen. Stattdessen brach Jubel bei der Hälfte der Leute im Block aus, während die andere Hälfte ob des Ausgleichs verzweifelt abwinkte. Der Keeper hatte den Ball nicht festhalten können und ließ das Leder ungeschickt ins rechte Eck durchrutschen. Trötende Vuvus, tanzende und begeisterte versus desinteressierter und apathischer Fans – alles auf engem Raum. 

Hoffnung bis zum Schluss

Nach der Halbzeit ging das flotte Spiel weiter und die Fans feierten ihre 11 der 22 aufgelaufenen Spieler. Trotz offiziellen Vuvuzela-Verbots, war das Tröten überall im gut gefüllten Stadion mit beeindruckender Lautstärke zu hören. Begleitet von fröhlichem Gesang und eifrigem Klatschen der Fans, entwickelte sich ein dauerhafter ohrenbetäubender Lärm. Nicht auszumalen, welcher Schalldruck wohl erreicht worden wäre, hätte es sich um eine WM-Partie in 2010 gehandelt. Kurz vor Ende sollte es in der 82. Minute noch mal richtig spannend werden.  Es stieg die Lautstärke ins Unermessliche. Der Unparteiische griff zur Pfeife und vollführte eine folgenreiche, obschon bekannte Geste. Elfmeter für die Kaizer Chiefs! Handspiel. Sollte jetzt doch noch der von den Fans sehnlich erwartete Heimsieg gegen die Pirates gelingen? Es sollte nicht. Der Schütze der Chiefs schoss unplatziert auf die Tormitte, so dass der gegnerische Keeper den Ball trotz Seitwärtsbewegung noch mit den Beinen abwehren konnte. Intensive Flüche und fröhliche Dankesbotschaften wurden jetzt von jung und alt um uns herum an den jeweilig angehimmelten Fußballgott gesendet. Dramen und Erleichterung ganz nah beieinander.

Es blieb schließlich bei einem für die Beteiligten gerechten Unentschieden. Die Strafstoßentscheidung sorgte in den verbleibenden Spielminuten und noch darüber hinaus für hitzige Debatten bei den Umstehenden. Diese fanden aber ohne uns statt, denn für uns hieß es nach Abpfiff schnell Richtung Wagen zu gelangen. Auf dem Rückweg zum Treffpunkt mit unserer Fahrerin wollten wir auf einen raschen Snack jedoch nicht verzichten. Die Wahl fiel auf eine Art „Blutwurstbratwurst“. Bevor wir aber hineinbeißen konnten, wurde diese noch einmal bei kurzem Small-Talk über den besten „AMG-Mercedes“ auf dem Grill gewendet und sodann übergeben. Den letzten Bissen unserer Wegzehrung herunter geschlungen, nahmen wir schließlich wieder im Auto Platz und schauten uns noch mal sehnsüchtig in Richtung des imposanten Soccercity Stadions um. Es hatte uns ein tolles Match beschert. Was für Emotionen, was für ein Derby, was für nette Leute. Gerne wieder, auch wenn es kein Derby ist.

Stadionheft beim Soweto Derby

Stadionheft beim Soweto Derby