Geht man durch die Straßen Berlins, lässt einen der Alltagsstress leicht vergessen, dass sogenannte „Stolpersteine“ eingelassen in die Bürgersteine der Stadt an vom NS-Regime ermordete Menschen erinnern. Genau deshalb versammelten sich rund 10 Fußballfans und ein tierischer Begleiter am 11. September 2021 zu unserer erinnerungspolitischen Fahrradtour an einem eben solchen Stein, in der Kurstraße 32 am Spittelmarkt.
Der Stolperstein ist Gustav Herzberg gewidmet. Er wurde 1907 in Breitenstein bei Stolberg im Harz geboren. Er arbeitete in der Gastronomie, zog zunächst nach Bayern, dann nach Berlin, wo er nahe des Spittelmarktes wohnte. 1941 wurde er wegen des Verdachts gegen den Paragrafen 175 (Homosexualität) verstoßen zu haben von der Gestapo in Berlin verhaftet und zunächst zu drei Monaten Arbeitserziehungslager in Berlin-Wuhlheide verurteilt. Im Februar 1942 wurde er ins KZ Buchenwald eingeliefert und nach vier Wochen ins Konzentrationslager Ravensbrück überführt, wo er im Juni im Alter von 34 Jahren verstarb bzw. ermordet wurde – die Zustände in den Konzentrationslagern waren nicht aufs Überleben ausgerichtet. Lothar Dönitz besteht auf dem Wort „ermordet“, sagt es ganz bewusst, während er eindrücklich vom Leidensweg Gustav Herzbergs erzählt.
Dönitz ist Mitglied im Gesprächskreis Homosexualität der evangelischen Advent-Zachäus-Kirchengemeinde und zusammen mit der Großnichte Herzbergs, Xenia Trost, verantwortlich für die Verlegung des Stolpersteins, mit dem die Erinnerung an ihn am Leben gehalten wird. Dieser wurde nach dem Vortrag gereinigt und seinem Andenken mit Blumen gedacht, ehe wir zu unserer zweiten Station aufbrachen: Dem Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen.
Dort angekommen begrüßte uns der nächste Referent Günter Dworek vom LSVD. Im Halbkreis um das Denkmal versammelt, berichtete er uns zunächst kurz von der Geschichte des Denkmals selbst. „Lange Zeit hatte das Leid homosexueller Menschen keinen Platz in der deutschen Erinnerungskultur“, so Dworek. Der Bau des Denkmals wurde erst 2003 durch den Bundestag beschlossen und 2008 umgesetzt. Es soll zum einen eine Erinnerung an das geschehe Unrecht sein, die Opfer gebührend ehren und zusätzlich ein Zeichen gegen Ausgrenzung setzen.
Danach sprach Günter Dworek über die Verfolgung und Diskriminierung von Homosexuellen Menschen vom NS-Deutschland bis in die BRD und DDR. Während des Nationalsozialismus wurden homosexuelle Lebenswelten wie Bars, Zeitschriften oder Clubs zerstört und der Paragraf 175 des Strafgesetzbuchs gegen homosexuelles Verhalten erheblich verschärft und ausgeweitet. In der Folge kam es zu über 50.000 Verurteilungen. Oft wurden vor allem schwule Männer in Konzentrationslager verschleppt, in denen sie zusammen mit den anderen Häftlingen unendliches Leid erfahren haben. „Nach dem Krieg war man zwar frei“, so Dworek, „aber man genoss keine Freiheit“. So mussten Homosexuelle in der BRD teilweise noch Haftstrafen aus dem alten Regime absitzen, was sogar vom Bundesverfassungsgericht als rechtmäßig bestätigt wurde. Homosexualität war immer noch ein Straftatbestand.
Das führte dazu, dass die Sichtbarkeit von Homosexuellen in der Weimarer Republik höher war als in der jungen BRD. Erst in den 80iger Jahren änderte sich dies und man erkämpfte sich einen Platz in der Anerkennungskultur. In der DDR wurde der Paragraf 175 ab 1968 zwar nicht mehr angewendet, gesellschaftliche Ausgrenzung erfuhren Schwule und Lesben aber trotzdem.
„Das Denkmal stellt eine Adaption einer Stele dar und ist durch sein filmisches Innenleben sehr dynamisch“, erzählt Dworek. So können immer wieder neue Impulse aufgegriffen werden, wie zum Beispiel das Thema Transgender. „Es soll ein Ort des Gedenkens sein, an dem man sich bewusst wird, dass Hass und Verfolgung keine Naturgesetze sind, gegen die man machtlos ist“, schließt Günter Dworek. Das kleine Publikum, zu dem sich auch Außenstehende gesellt haben, verabschiedet sich mit dankendem Applaus. Wir machen uns auf zur dritten Station. Durch den Tiergarten, am Magnus-Hirschfeld-Ufer entlang, bis zum Denkmal für die erste homosexuelle Emanzipationsbewegung.
Bei mittlerweile sonnigen Septemberwetter hält Christopher Schreiber vom LSVD Berlin-Brandenburg einen kurzen Vortrag über die Historie und Entwicklung der ersten politischen Bewegung vom Homosexuellen, die im 19. Jahrhundert in Berlin ihren Anfang fand. Eng mit der Bewegung verbunden war der Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld, der Homosexualität als biologisch gegeben betrachtete und nicht als Perversion. Daraus leitete er politische Forderungen wie die Abschaffung des Paragraf 175 ab, für die er mithilfe des Wissenschaftlich-humanitären Komitees öffentlich lobbyierte. Er begründete außerdem eine ambulante Einrichtung für homosexuelle und transgeschlechtliche Menschen die Betreuung und einen Schutzraum brauchten. Nach der Machtübernahme der Nazis, musste Hirschfeld ins Exil fliehen. „Nach dem 2. Weltkrieg musste die Emanzipationsbewegung dann quasi bei Null anfangen“, berichtet Schreiber. Das Denkmal wurde erst 2017 eröffnet, was den jahrzehntelangen Kampf für die Anerkennung der Emanzipationsbewegung zum Ausdruck bringt.
Nachdem wir uns von Christopher verabschiedet haben, ist es Zeit für unsere letzte Station. Auf der Haupttribüne des Poststadions geben uns Philipp Bommer von den Hertha-Junxx, dem ersten offiziellen schwulen und lesbischen Fanclub der Bundesliga und Christian Rudolph von der Anlaufstelle für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt beim DFB einen Überblick über Gleichberechtigung und Teilhabe im Fußball.
Die Herthajunxx existieren seit 2001 und sind bei den Heimspielen von Hertha BSC im Oberrang präsent. „Wir sind wichtigster Ansprech- und Kooperationspartner von Hertha und bringen uns aktiv mit ein“, sagt Philipp. „Dabei geht es vor allem darum die Sichtbarkeit der queeren Community im Fußball zu erhöhen. Deswegen wollen wir uns langfristig auch in die Ostkurve integrieren“. Darüber hinaus ist Philipp Bommer auch im Vorstand der Queer Football Fanclubs, einem Netzwerk schwul-lesbischer Fanclubs in Europa.
Christian Rudolph arbeitet als Netzwerker daran den Fußball zu einem safe space für alle zu machen. Dafür arbeitet er eng mit Landes- und Regionalverbänden zusammen, nimmt sich deren Anliegen an und versucht so Veränderungen anzustoßen – beispielsweise für das Spielrecht von trans- und intersexuellen Personen. „Fangruppen leisten einen wichtigen Beitrag um die Sichtbarkeit der LGBTIQ+ community zu erhöhen“, sagt Rudolph. „Wir möchten einen Fußball der divers ist, aber immer noch frotzlig und wild“.
Diese Schlussworte aus der Gegenwart markieren das Ende unserer erinnerungspolitischen Fahrradtour. Mit vielen Eindrücken und neuen Perspektiven im Gepäck werfen wir noch einen letzten Blick auf das saftige Grün im Poststadion, der Heimat des Berliner AK, dann fährt jeder*r auf seinem eigenen Radweg nach Hause.
An dieser Stelle möchten wir nochmals unseren Kooperationspartnern für ihre Unterstützung danken: dem LSVD Bund, dem LSVD Berlin-Brandenburg, den Hertha-Junxx, der Anlaufstelle für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt beim DFB und der Initiative Sport handelt fair.