Keine Frage, Fußball ist am schönsten im Stadion. Über die Jahre kommt man viel herum: Nach Fürth, Reutlingen und Rostock, aber auch nach Polen, Kroatien und Frankreich. Eine weitere Fußball-Lücke sollte letztes Wochenende geschlossen werden: Die Serie A.

Wie es das glückliche Händchen meiner fußballfremden Freundin wollte, durfte ich an meinem Geburtstag Karten für Lazio Rom gegen Inter Mailand in den Händen halten. Doch zur Freude gesellte sich auch ein Hauch von Verunsicherung, die Tickets waren für die Curva Nord. In Gedanken sah ich mich schon zwischen den faschistischen Ultras der Irriducibili, ohne mitzusingen, erkannt als Eindringling in ihrer Kurve. Für Spannung war also gesorgt.

Lazio vs. Inter

Am Rande des Vatikans machen wir uns auf dem Weg zum Stadion. Die Inter-Trikots an der Bushaltestelle sind ein erster Hinweis auf die Fanfreundschaft zwischen den Vereinen. Vergleichsweise entspannt geht es dann auch zum Römer Olympiastadion, gemeinsam mit 15-jährigen Ultras, französischen Stadiontouristen und Rentnern mit himmelblauen Schals. Am Olympia-Stadion angekommen passieren wir zunächst eine erste, überraschend harmlose Sicherheitskontrolle. Zweimal kurz auf die Hosentaschen geklopft und durch. Das ist es doch nicht gewesen? Ist es doch. Vor der Curva Nord gibt es eine weitere, eine Doppel-Kontrolle: Zuerst tastet das Sicherheitspersonal gründlichst ab. Danach wird jeder Stadionbesucher penibel von der Polizei kontrolliert. Und meine Freundin muss sich von ihrer Haarbürste – diesem hochgefährlichen Wurfgeschoss – trennen.

Auf dem Weg in die Kurve geht es an sechs, sieben Ultras vorbei, die mit dem lauten Schütteln ihrer Sammelboxen Geld für die nächste Choreo sammeln. Endlich im Block angekommen, entdeckt man vieles, was eine Fankurve ausmacht. Ein wunderbares Gewusel von Leuten in Trikots und Trainingsjacken, die sich gegenseitig begrüßen. Man kennt sich. Ich entdecke auch einige kantige Gesichter – Typen, denen ich nachts nicht allein auf der Straße begegnen möchte. Allerdings macht die Mehrheit im Block einen sehr entspannten Eindruck: Bärtige Studenten, einige Pärchen und vor allem viele Familien, bei denen von der Oma bis zur Enkeltochter alle gemeinsam im Block stehen. Die jungen Ultras hängen unten am Zaun. Es wird gekifft, nicht getrunken.

Im Gegensatz zu englischen Fußballstadien, werden hier die personalisierten Sitzplatztickets noch ignoriert. Jeder sucht sich einfach irgendwo ein freies Plätzchen, gerne auch mitten im Weg, im Aufgang. Familien und Freunde setzen sich zusammen auf ihre Gazetta dello Sport, die sie sich vor den Stadiontoren für das staubfreie Hinterteil mitgenommen haben. Als die Lazio-Hymne im Stile des 90er Italo-Rocks erklingt, steht das gesamte Stadion auf und singt das schnulzige Lied voll Inbrunst gleich zweimal.

Das Spiel hat es in sich. Lazio beginnt offensiv und erzwingt ein frühes 1-0. Das Heimteam ist am Drücker, die ersten Bengalos brennen, die ganze Kurve singt, springt, brüllt. Doch Mitte der ersten Halbzeit stellt sich Lazio-Innenverteidiger Mauricio ungeschickt an, legt an der eigenen Strafgrenze einen Inter-Stürmer und kassiert dafür die rote Karte. Der ehemalige Lazio-Spieler Hernanes lässt sich die Gelegenheit nicht nehmen und verwandelt den anschließenden Freistoß direkt. Durch seinen ausgelassenen Jubel macht er sich allerdings keine Freunde mehr im Stadion. Die Curva Nord beantwortet den kunstvollen Salto mit Schimpftiraden: „Hernanes, pezzo di merda!“. Irgendwann hört man auch ein „Hernanes uh-uh-uh“, Affengeräusche. Glück gehabt, dass Hernanes nicht dunkelhäutig ist – ansonsten hätten wir hier den zu erwartenden Lazio-Rassismus auf dem Silbertablett serviert bekommen.

Lazio spielt mit zehn Mann weiter angriffslustig, hat mehrere gute Möglichkeiten. Einmal verpasst Klose nur knapp. Nichts zu sehen vom so verrufenen italienischen Abwehrfußball. Die Curva richtet ihren Frust nach streitbaren Schiedsrichterentscheidung nicht gegen Inter. Lieber feiern sie die Fanfreundschaft und beleidigen gemeinsam Milan und die Roma. Und das ganze Stadion fängt an zu hüpfen, bis die Beton-Tribüne schwingt.

Die zweite Halbzeit bleibt kurzweilig: Nach wenigen Minuten sieht der Lazio-Torwart Rot für eine Notbremse. Der für Klose eingewechselte Ersatzkeeper Berisha hält. In der Folge wird jeder Ballbesitz von Inter mit lauten Pfiffen bedacht, jeder eigene Ballgewinn frenetisch bejubelt. Bis in die 83. Minute rettet sich Lazio zu neunt, dann trifft erneut Hernanes zum 2-1. Für Lazio gibt es nichts mehr zu holen. Auch wenn heute die große Möglichkeit verspielt wurde, den Stadtrivalen AS Rom vom zweiten Platz zu verdrängen: Die Curva Nord feiert ihre Mannschaft bis weit nach dem Abpfiff.

Wir machen uns auf den Heimweg und es bleibt das Gefühl, dass der allgemeine Abgesang auf die italienische Fußballkultur verfrüht zu sein scheint. Nach den Ausschreitungen und Stadionsperren vor einigen Jahren herrschte noch Weltuntergangsstimmung. In der jüngeren Vergangenheit wurden die Sicherheitsvorkehrungen massiv verstärkt, Fans ausgeschlossen, Bürgerrechte beschränkt. Bei den Auswärtsfans waren die Folgen deutlich zu erkennen: wenige Banner, wenig Gesang – die Restriktionen wirken noch immer. Dennoch haben sich gut 37.000 Zuschauer im Olimpico eingefunden. Ob es daran liegt, dass man wieder ohne Fan-Pass ins Stadion kann? Die Eingänge für die Tessera del Tifoso benutzte zumindest niemand.

Auch wenn das Stadion bei weitem nicht ausverkauft war, die lautstarke, hingebungsvolle Unterstützung der Laziali, kann in den meisten Bundesligastadien zumindest ihres Gleichen suchen. Die eigene Mannschaft wurde nach vorne gepeitscht und nicht mit einem Dauer-Lalala eingelullt. Die Capos gaben dabei nur kleine Impulse, die Stimmung wurde von der ganzen Kurve getragen.

Nach dem Besuch der Kurve erscheint mir das Lazio-Bild in Deutschlandalsstark überzeichnet. Hierzulande bekunden ja gerne BFC- und Lok-Leipzig-Anhänger ihre Sympathie mit Lazio, gerade aus Bewunderung für offen zur Schau getragene, provokative Zuneigung zum Faschismus. Im Lazio-Block gab es neben den Kanten in Irriducibili-Shirts auch ein paar Fans im Trikot von Paolo di Canio, dem ehemaligen Lazio-Kapitän, der aus seiner rechtsextremen Gesinnung kein Geheimnis macht. Allerdings scheinen sich momentan Miroslav Klose und Felipe Anderson in der Kurve einer größerer Beliebtheit zu erfreuen, deren Shirts 20-mal häufiger getragen werden. Im Block fallen keine rechten Symbole oder Sticker ins Auge. Lazio macht nicht nur sportlich Hoffnung.